Friedhof und Sterbebilder


Virtueller Spaziergang über den Friedhof
Richard Stadler bringt Sterbebilder ins Internet und interessiert dam Ahnenforscher

An wenigen Orten wird die Vergänglichkeit greifbarer als auf Friedhöfen. Wenn die goldene Farbe vom Namenszug auf einem Grabstein blättert, wird klar, was Vergessen heißt. Richard Stadler will diesem Vergessen Einhalt gebieten. Der 49-jährige Computerfachmann aus Hofkirchen bei Laberweinting hat den Friedhof seines Heimatortes ins Internet gestellt und entreißt ihn damit dem Zahn der Zeit.


Auch diese ungewöhnliche Blick auf den Hofkirchener Friedhof von einem Heißluftballon aus ist auf der Internetseite www.richard-stadler.de zu bestaunen. (Fotos: rac)

Niemand erinnert sich mehr an Maria Guggenberger und Ludwig Klankermeier. Marias Tod kam im Frühjahr. Am 22. April 1887. Es war ein dunkler Tag für ihre Eltern, die Wirtsleute aus Weichs. Ihre Tochter war erst vier Monate zuvor 16 geworden. Nur ein paar Jahre älter wurde Ludwig Klankermeier aus dem nahe gelegenen Asbach. Am 16. März 1916 starb der 21-jährige Soldat in einem französischen Lazarett.

Heute beflügeln die tragischen Schicksale der beiden nur noch die Phantasie derer, die auf der Internetseite www.richard-stadler.de  beim virtuellen Spaziergang über den Hofkirchener Friedhof auf ihre vergilbten Sterbebilder stoßen.

Richard Stadler arbeitet viele Stunden lang an der Qualität der Sterbebilder.

Gräber und Sterbebilder

Richard Stadler ist der „Vater" dieses ungewöhnlichen Projekts. Auf seinem virtuellen Friedhof können die Besucher auf alle Grabsteine und Sterbebilder der Toten aus Hofkirchen klicken. Als Erstes haben sich die Ahnenforscher auf die Internetseite gestürzt. Einfacher als durch einen einzigen Mausklick lassen sich Stammbäume nicht mehr zurückverfolgen. Das Büro des selbstständigen Computerspezialisten befindet sich im Keller seines Einfamilienhauses - keine 200 Meter vom wirklichen Friedhof entfernt.

Es ist schon einige Zeit her, als der 49-Jährige die Idee dazu hatte. „Die Grabsteine und das Kriegerdenkmal habe ich schon vor fünf oder sechs Jahren fotografiert", erzählt der Familienvater. Dann habe er sie ins Internet geladen. Heute finden sich im Netz sogar Gräber, die es auf dem Friedhof seit Jahren nicht mehr gibt. Aber das reichte Richard Stadler nicht. Er machte sich daran, auch noch die Sterbebilder zu den Toten zu sammeln. Und weil hinter jedem Namen auf einem Grabstein immer auch eine Geschichte steht, erscheinen die Sterbebilder auf dem Bildschirm nach einem Klick auf die Grabsteine. „Dort, wo vorher nur ein Schriftzug auf die Toten hinwies, habe ich ihnen ein Gesicht gegeben", erzählt Richard Stadler nicht ohne Stolz. Wer heute etwas von den früheren Bewohnern Hofkirchens erfahren will, der muss sich nur auf der Seite zu den Sterbebildern durchklicken - von vielen Bildern blicken die Toten sogar selbst.

Es dauerte nicht lange und Stadler wurde von seinem Projekt gepackt. Akribisch machte er sich auf die Suche nach den Sterbebildern. So kam es auch, das er bald mehr der kleinen Faltblätter hatte, als Tote in den Gräbern Hofkirchens liegen. „Immer wieder werden alte Grabsteine entfernt, weil niemand mehr da ist, der sich darum kümmert", erzählt er. Die Menschen, die dort einmal beerdigt wurden, werden vergessen. Wenn noch nicht einmal mehr ihre Gräber von ihnen erzählen, dann bleibt nichts als die kleinen Sterbebildchen, die alte Mütterchen in ihren Handtaschen und Gebetsbüchern aufbewahren. Manche von ihnen musste Stadler regelrecht beknien, bis sie ihre Bildchen aus der alten Hutschachtel kramten. „Natürlich bekommen alle ihre Sterbebilder wieder unversehrt zurück", verspricht Stadler. Mittlerweile stehen 700 Stück im Internet. Das sind weit mehr als sich Richard Stadler je erhofft hatte. „Erst letzte Woche habe ich wieder 100 aus Asbach bekommen", freut er sich. Stundenlang wird er jetzt wieder vor seinem Computer sitzen und mit einem Bildbearbeitungsprogramm die Schäden auf den Sterbebildern aus-bessern, bevor er sie ins Internet stellt. Aber die Sache ist es ihm wert. Denn es sind Menschen wie Ludwig Klankermeier oder Maria Guggenberger, an die durch Richard Stadlers Engagement noch einmal gedacht wird. Menschen, die eigentlich schon lange vergessen wären.

051112

Christian Raffer in der Laberzeitung am 12. Nov. 2005